Über das Tragen

Es gibt viele Meinungen zum Thema Tragen. Viele glauben immer noch, man würde ein Kind verwöhnen und man könne ein Kind gar nicht mehr ablegen, wenn man es ständig trägt. 

Aber dass Babys getragen werden, WEIL sie sich nicht ablegen lassen und das vielleicht sogar NORMAL ist – daran denken viele nicht. Es gibt sie, die Babys, die man stundenlang ins Bett legen kann und die trotzdem zufrieden sind. Die Norm ist das aber nicht. Früher war es normal, Kinder zu tragen und im eigenen Bett zu haben. Erst die Industrialisierung brachte Kinderwägen und Kinderzimmer. Und während der traurigen Jahre unserer Geschichte wurden Babys absichtlich „abgehärtet“, um später besser im System zu funktionieren und nicht zu „verweichlichen“.

Folgende 2 Theorien zum Thema finde ich interessant:

 

Die Theorie des Steinzeitbabys sagt, dass Babys in ihren basalen Bedürfnissen und Funktionen an die Umweltsituation der Steinzeit angepasst sind. Eine stille Umgebung abseits der Artgenossen stellte eine akute Gefahr dar. Nur Babys in unmittelbarer Nähe zu ihren Eltern waren vor Umwelteinflüssen geschützt und wurden nicht vergessen. Dies würde Folgendes erklären:

Babys, die sich nicht ablegen lassen.

Babys, die nicht in stiller Umgebung schlafen.

Babys, die immer geschaukelt werden wollen und nur in Bewegung einschlafen.

Der Verhaltensbiologe B. Hassenstein prägte den Begriff des Traglings: Er konnte den Primaten weder den Nesthockern noch den Nestflüchtern zuordnen. Als Tragling wird bei Säugetieren ein Jungtier bezeichnet, welches – als arttypisches Verhalten – meist von der Mutter regelmäßig umhergetragen wird. Passive Traglinge reifen nach kurzer Schwangerschaft blind und nackt im Beutel der Mutter nach. Aktive Traglinge werden mit funktionsfähigen Sinnesorganen geboren und halten sich durch den Klammer-Reflex an Händen und Füßen selbstständig am Fell der Mutter fest.
Ein Sonderfall des Traglings ist der menschliche Säugling: Er wird nach langer Schwangerschaft zwar mit voll entwickelten Augen und Ohren geboren, Greif- und Mororeflex sind noch vorhanden, ihm fehlt aber die Kraft, sich an der (unbehaarten) Mutter festzuhalten. Allerdings kann sich der Säugling mit Hilfe der Mutter auf Hüfthöhe mit den Beinen „festklammern“ (Anhock-Spreiz-Haltung). Das typische Merkmal des Traglings ist die fehlende Toleranz, alleine gelassen zu werden.

(Bernhard Hassenstein: Tierjunges und Menschenkind im Blick der vergleichnenden Verhaltensforschung)

 

Bindung

Durch das sichere Tragen eines Säuglings ist viel leichter möglich, zeitnah auf seine Bedürfnisse einzugehen.Tragen stillt das Grundbedürfnis nach Nähe, Sicherheit und Geborgenheit. Die Bezugsperson merkt auch viel früher, wenn das Baby hungrig wird oder gewickelt werden muss und nicht erst, wenn es weint.

Die Bezugsperson ist DA.

Und genau dieses rasche Eingehen auf Bedürfnisse stärkt die Bindung zur Bezugsperson. Es entsteht Urvertrauen. Tragen ist ein Teil davon

Ist Tragen gesund?

Ja! Vorausgesetzt, folgende Punkte werden beachtet:

 

  • Eine korrekte Anhock – Spreiz – Haltung: Diese ist sehr förderlich für die Hüftentwicklung des Säuglings und wird gewährleistet durch die richtige Stegbreite der Tragehilfe bzw. die passende Bindeweise für Säuglinge.
  • Eine sichere Stützung der Wirbelsäule sorgt für die optimale Haltung des Neugeborenen: Richtiges Anlegen der Tragehilfe. Straffe, faltenfreie Tuchführung.
  • Das Freihalten der Atemwege sollte eine Selbstverständlichkeit sein
  • Bis zur selbstständigen Kopfkontrolle muss der Kopf gut gestützt sein.
  • Das Baby wird in aufrechter Position mit dem Gesicht zur tragenden Person  getragen.
  •  Passende Größe der Tragehilfe, korrekte Bindeweise
Vorteile
  • Das Baby hat eine sanftere Übergangszeit, weil es die schaukelnde Bewegung, das Schrittmuster und den Herzschlag aus der Zeit im Mutterleib kennt.
  • Getragene Babys weinen weniger und haben durch die Bewegung tendenziell weniger Probleme mit Blähungen.
  • Haltungsproblemen wie Schiefhals, Liegeglatze wird vorgebeugt
  • Die Eltern können sehr zeitnahe auf Bedürfnisse ihres Kindes eingehen. Dies unterstützt Vertrauen und Bindung. Die wiederum fördert die Resilienz.
  • Beim Tragen wird vermehrt Oxytocin ausgeschüttet. Oxytocin ist DAS Bindungshormon.

 

  • Babys sind mitten im Leben dabei zum Beispiel wenn Mama kocht
  • Tragen macht flexibel (Flugzeugtoilette) und hilft, das Problem, dass einem 4 Hände fehlen, in Ansätzen zu lösen: Das Geschwisterkind auf der Schaukel anschupfen, das Abendessen kochen, die Wäsche aufhängen, die Beine enthaaren
  • Tragen funktioniert ab Stunde Null, vorausgesetzt, das Baby ist gesund und die Eltern sind bereit dazu. Am besten man übt VORHER die Handgriffe, bis sie vertraut sind, zum Beispiel mit einer Tragepuppe. Denn ein schreiender Säugling und unsichere Eltern sind nicht die beste Voraussetzung für einen guten Tragestart.